Immer noch Träume von der Gummizelle

|   Schuljahr 14/15

Jutta Fleck, die "Frau vom Checkpoint Charlie", erzählt Holderbergschülern aus ihrem Leben

Sie ist die "Frau vom Checkpoint Charlie": Am Mittwochmorgen ist Jutta Fleck in der Holderbergschule Eibelshausen zu Gast gewesen, um die Schüler der achten und neunten Klassen an ihrer Biografie teilhaben zu lassen.

Wegen Republikflucht in der DDR zu einer Haftstrafe verurteilt, wurde sie im Jahr 1982 von ihren beiden Töchtern getrennt. Es dauerte sechs Jahre, bis sie sie wiedersehen konnte. Nach zwei Jahren Haft von der Bundesrepublik freigekauft, war fortan ihr erklärtes Lebensziel, ihre Mädchen wiederzusehen. So stand sie mit großen Schildern am Berliner Grenzübergang "Checkpoint Charlie", appellierte an den Papst, an Willy Brandt und Helmut Kohl. Doch nicht die Verhandlungen auf höchster politischer Ebene, sondern Mahnwachen, Hungerstreiks und Petitionen hätten die Ausreise ihrer Töchter ermöglicht, erklärte Jutta Fleck später. Die Biografie von Jutta Fleck (früher Gallus) wurde mit Veronica Ferres in der Hauptrolle verfilmt.

Nach der Schulveranstaltung lieferte Fleck, heute Leiterin des Schwerpunktprojekts "Politisch-Historische Aufarbeitung der SED-Diktatur" in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, in einem Gespräch mit unserer Zeitung Einblicke in ihre Arbeit.

Nein, es störe sie nicht, als "die Frau vom Checkpoint Charlie" zu gelten. Sie habe schließlich als solche jahrelang gekämpft. Ja, sie habe noch nicht alles verarbeitet, was sie im Gefängnis an Folter und Schlimmem erlebt habe. "Ich schreie manchmal nachts. Träume, dass ich in der Gummizelle bin und ,sie' mir meine Kinder wegnehmen wollen und ich versuche, mich zu wehren. Doch wenn mein Ehemann mich dann weckt und sagt, dass alles gut ist, kann ich wieder beruhigt einschlafen." Das Sprechen über die Geschehnisse aus den Jahren vor der Wende, helfe ihr noch heute beim Verarbeiten und habe auch eine therapeutische Wirkung. "Darüber hinaus ist es meine Lebensaufgabe, von dem Unrecht zu berichten, damit sich so etwas nicht wiederholt."

Zwar sei sie in ganz Deutschland unterwegs, aber seltener und vorsichtiger im Osten. "Dort gibt es noch die alten Kader, und nicht an jeder Schule bin ich willkommen." Dann habe es auch keinen Zweck dort zu berichten, denn es trete ihr anschließend ein eisiges Schweigen gegenüber, sagt sie. Und mitunter erhielten Veranstalter im Osten Morddrohungen, sobald bekannt werde, dass sie dort eingeladen sei.

Auch nach dem Erscheinen des zweiteiligen Fernsehfilms "Die Frau vom Checkpoint Charlie" habe es Morddrohungen und obszöne Anrufe gegeben - sowohl an ihre eigene als auch an die Adresse von Hauptdarstellerin Ferres.

Seit 2010 reise sie im Auftrag der Hessischen Landesregierung durch Deutschland. In den Jahren 2010 bis 2014 habe sie weit über 46 700 Teilnehmer auf über 350 Veranstaltungen erreicht. Bisher habe sie im laufenden Jahr 46 Projekttage besucht. Auf Desinteresse seitens der Schüler sei sie in keinem Fall gestoßen: "Die sind oft erstaunlich gut vorbereitet und haben viel Hintergrundwissen."

So auch in Eibelshausen. Während des emotionalen Vortrags herrscht gebannte Stille bei den Schülern. Flecks Tochter Beate Gallus liefert ihre Sicht der Dinge dazu. In den sechs Jahren nach der Verhaftung ihrer Mutter hätten jeden Tag "Gehirnwäsche-Gespräche" stattgefunden. Darüber hinaus sei "jede beschissene Sekunde unseres Lebens in Stasi-Akten vermerkt". Und sie zeigt eine Zeichnung, die sie damals ihrer Mutter ins Gefängnis schickte: Ein Herz, das ein lachendes Gesicht und Hände und Füße hat. Dieses "Mutmacher-Herz" soll nun Teil eines Projekts werden, das Beate Gallus verfolgt. Die Botschaft: "Wir sind wir und gut so, wie wir sind." Es soll Hilfsbereitschaft stärken und Mut machen, hinter die Kulissen zu schauen.

Mutter Jutta betont, dass bei ihr immer die Kinder an erster Stelle standen und stehen. Ihre Motivation damals und heute: "Wo Liebe ist, wird das Unmögliche möglich."

Quelle: www.mittelhessen.de

 

Berichteten in Eibelshausen über die Jahre der Trennung: Jutta Fleck (rechts), die "Frau vom Checkpoint Charlie", und ihre Tochter Beate Gallus. (Foto: U. Jung)