DDR-Zeitzeuge Albrecht Kaul berichtete vom „Wunderjahr 1989“

|   Schuljahr 13/14

Vom geteilten Deutschland, dem größten Gefängnis der Welt und der Stasi 
„Ich hatte zwar von der Mauer gewusst, dass es aber eine so streng bewachte Grenze war mit Schießbefehl und dem allen, das hätte ich nicht vermutet“, formulierte ein Schüler der 8G2 nach dem Vortrag von Albrecht Kaul betroffen und ein Mitschüler ergänzte: „Das war interessant. Ich hätte nie gedacht, dass die Verhöre der Stasi so schlimm waren, dass normale Bürger so unter Druck gesetzt wurden“. Unter dem Motto „Wendejahr- Wunderjahr 1989“ informierte Zeitzeuge Albrecht Kaul, bis 2009 langjähriger stellvertretender Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland, am Montag und Dienstag zahlreiche Zuhörer in Eibelshausen und Ewersbach. Neben den Abendveranstaltungen fanden an beiden Vormittagen auch Vorträge für die Schüler der Klassen 7 bis 10 statt. Mit Interviews und TV-Sequenzen sowie Raum für Nachfragen wurde die deutsche Geschichte der beiden Staaten DDR und BRD für die Zuhörer lebendig und dank vieler persönlicher Berichte von Albrecht Kaul auch erfahrbarer. Kaul wurde 1944 in Karl-Marx Stadt (heute Chemnitz) geboren und erlebte die Teilung Deutschlands, das System der DDR und die Maueröffnung mit.
Nicht nur die Frage nach dem eigentlichen Wunder der Wende stand im Mittelpunkt, sondern auch die Frage nach dem Weg dorthin und den Voraussetzungen dafür. Nach dem verlorenen II. Weltkrieg entstanden 1949 beide deutsche Staaten, allerdings befand sich die DDR unter sowjetischer Besatzungsmacht und die BRD unter amerikanischer, erinnerte Kaul. Er berichtete von den unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen beider Staaten. „Wahlen in der DDR sahen so aus, dass man einen Zettel bekam, diesen konnte man falten und in die Wahlurne werfen. Das war dann die Wahl“, verdeutlichte Kaul das Procedere. Ein Kreuz zu machen war überflüssig, der Vorschlag der Parteien schon vorformuliert. Dass dieses Vorgehen keine Wahl war, verstanden auch die Jugendlichen sehr gut. Auch dass es in der DDR eine Wahlpflicht gab, war für viele Schüler neu. „Mein Vater war nicht zur Wahl gegangen. Nachmittags um 17 Uhr kamen dann einige Männer mit der Wahlurne zu uns und wollten, dass mein Vater wählt“, schilderte der Referent seine Erinnerungen. Da der Vater sich weigerte zu wählen, erhielt er einen Eintrag in seine Personalakte und musste fortan auch beruflich mit Schwierigkeiten rechnen. Manche betrafen gar nicht den Vater, sondern seine Familie. „Es ist für mich nicht vorstellbar, dass ich mein Abi nicht machen darf, nur weil mein Vater ein Nichtwähler ist oder ich nicht in der Partei bin, war das wirklich so ?“, war die Reaktion eines Schülers, nachdem Albrecht Kaul genau dieses Vorgehen der SED erklärt hatte.
Kaul selbst wird Maschinenbauer und träumt als Jugendlicher davon, sich die Welt anzuschauen. „Und dann wurde 1961 die Mauer gebaut“, berichtete der Referent wehmütig. Diese Maßnahme sei eine Folge der Flucht von drei Millionen DDR-Bürgern gewesen, die zwischen 1949 bis 1961 das Land verlassen hatten. „Wir lebten im größten Gefängnis der Welt“, erklärte Kaul im Interview mit Martin Scott von Wunderwerke e. V., einem Verein, der kirchliche und andere Träger von Jugendarbeit unterstützt. Die kirchliche Jugendarbeit ist auch das Berufsfeld, in das Kaul später wechselt. Bei einer Rüstfreizeit wurde er Christ. „ Einen Tag später kam die Polizei und löste unsere Freizeit auf. Aber sie kamen einen Tag zu spät“, schmunzelt Kaul heute. Mit sehr persönlichen Glaubens-Aussagen skizzierte er die Schwierigkeiten, die Christen und kirchliche Institutionen in der DDR hatten.
„Unser Sommerlager an der Ostsee dauerte 10 Tage, erlaubt waren aber nur 7. Am achten Tag stand die Polizei vor uns und wollte das Camp auflösen. Aber wir widersetzten uns. Da haben ich eine Ordnungsstrafe bekommen“, erzählte Kaul. Doch nicht nur Geldstrafen hagelte es: „Ich musste auch zum Verhör, weil ich einen Handzettel hergestellt und verteilt hatte. Religiöse Propaganda habe er verteilt, so der Vorwurf der Polizei.
Erst nach der Wende erfährt er aus seiner Stasi-Akte, die er 1993 anforderte, wie heiß der Boden unter seinen Füßen bereits war. „Die Stasi hatte Mitarbeiter auf mich angesetzt, mein Leben ausspioniert. Meine Verhaftung war geplant, auf einer Skizze waren Wohnort und Fluchtwege eingezeichnet. Gott sei Dank ist es nicht dazu gekommen“, schildert Kaul und die Zuhörer merken ihm die Erleichterung über diese Tatsache an. Der Weg von den Montagsgebeten in Leipzig, die seit 1979 regelmäßig in kleiner Runde stattfinden, bis hin zur Massendemonstration 1989 mit 70.000 DDR-Bürgern ist ein langer, aber sehr erfolgreicher Weg. „In den Nebenstraßen in Leipzig stand das Militär und die Polizei schon bewaffnet bereit, um die Montagsdemonstrationen aufzulösen“, erzählt Kaul. Das wahre Wunder bestand darin, dass der Einsatzbefehl kurz vor der Vollstreckung wieder zurückgenommen wurde und es so kein Blutvergießen gab. Stattdessen führten die Demonstrationen in Leipzig zur Maueröffnung und letztlich zur Wiedervereinigung.

Vordergrund Albrecht Kaul und im Hintergrund Moderator und Interviewer Martin Scott von Wunderwerke ev
Vordergrund Albrecht Kaul und im Hintergrund Moderator und Interviewer Martin Scott von Wunderwerke ev