Beim Pädagogischen Vormittag holten sich Eltern Rat und Tipps

|   Schuljahr 10/11

„Immer bevorzugst du meinen Bruder. Du hast ihn viel lieber als mich“. Der Vorwurf der ältesten Tochter sitzt tief, und auch wenn man als Mutter oder Vater weiß, dass es nicht so ist, bleibt die Frage, wie das ältere Kind auf diese Feststellung kommt. „Es nutzt nichts, zu sagen: Das stimmt nicht. Sie können diese subjektive Einschätzung des Kindes nicht wegreden, nur weglieben“, war eines der Statements von Ricarda Abrell, Dozentin im Bereich Pädagogik und Seelsorge am Marburger BIBS und selbst Mutter von vier Kindern. Bestimmte Verhaltensmuster von Ältesten, Jüngsten, den zweiten Kindern im Geschwisterreigen oder Einzelkindern standen am Samstag im Mittelpunkt der Ausführungen von Ricarda Abrell. Viele Klischees habe sie an ihren eigenen Kindern beobachtet, obwohl sie und ihr Mann versuchten, diesen Entwicklungen gegenzusteuern. „Man kann es nicht“, war eine der ersten und grundlegenden Erkenntnisse, mit der die Eltern an diesem Tag nach Hause gingen.

Über 60 Eltern waren zum 4. Pädagogischen Samstag an die Holderbergschule gekommen, um sich Rat und Tipps zu holen, aber auch, um im Austausch mit anderen Eltern festzustellen, dass man selbst nicht allein mit seinen Problemen und Konflikten bei der Erziehung pubertierender Jugendlicher dasteht. „Ich fand es auch unglaublich wohltuend, dass andere Eltern im gleichen Spannungsfeld stehen wie ich“, kommentierte eine Teilnehmerin. Eine andere freute sich nach dem Vortrag, dass sie Bestätigung für ihr erzieherisches Handeln bekommen hatte. Über die Gefahren der Handynutzung informierte Jörg Schormann von der Polizei Dillenburg, Diplompädagogin Karin Ziegler referierte über das Risikoverhalten im Jugendalter und Lehrerin Andrea Kluth dachte mit einigen Teilnehmern über die Chancen und Gefahren neuer Medien nach.

„Wie die Geschwisterkonstellationen unsere Rolle im Leben prägt“ gab den Teilnehmern erhellende Informationen darüber, wie bestimmte Fähigkeiten innerhalb der Familie ausgebildet und gefördert werden.

Die Familie oder die schlechte Kindheit diene im Erwachsenenalter sehr oft als Erklärung für ein Fehlverhalten. Dafür zeigte die Referentin kaum Verständnis: „Ich kann nicht sagen: Ich bin jährzornig, weil mein Vater jähzornig war“ Für sein Leben sei jeder Mensch selbst verantwortlich. Das Umfeld, in dem man sein Lebensmuster entwerfe, spiele eine prägende Rolle. Die Familienkonstellation könne das Fehlverhalten erklären, aber nicht entschuldigen.
Im Vergleich mit den Geschwistern lerne das Kind, Gaben und Schwächen einzuschätzen. Die eigene Lebensgrundüberzeugung hänge von drei Faktoren ab: Von der Vererbung, der Familie und an welcher Stelle der Geschwisterposition ich stehe und drittens der Entscheidung, was ich aus beiden Faktoren mache.
Über die verschiedenen Rollen und Verhaltensmuster gab Ricarda Abrell einen informativen Überblick: Das älteste Geschwisterkind fühle sich oft als Elternvertreter, selbst dann, wenn Mutter oder Vater in der Nähe sind. Sie seien oft gute Systematiker, kennen die Wochentermine der Geschwister oft besser als diese selbst, sind oft introvertiert und haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Allerdings leben sie auch mit einer hohen Rollenerwartung, da Eltern oft Sätze wie „Von dir hätte ich mehr erwartet“ zu den ältesten Sprösslingen sagen. „Mein Tipp an alle Eltern: Älteste haben nicht die Aufgabe, die anderen Geschwister zu erziehen. Übertragen sie keine Aufgaben an die Ältesten, was Aufgabe der Erwachsenen wäre“.
Die Jüngsten verstehen es, die Welt – und meist die Eltern - um den kleinen Finger zu wickeln. Oft seien die Jüngsten später im Leben den Problemen nicht gewachsen, da es ja im Kindesalter immer ältere Geschwister gab, die ihre Aufgaben übernahmen. Die Jüngsten seien auch die Sonnenscheinchen der Familie. „ Lassen sie den Jüngsten keine Sonderzuwendungen zukommen. Ich weiß, das fällt schwer, weil sie ja so süß sind“, meinte Abrell schmunzelnd. Das Konkurrenzdenken zum ältesten Kind sei das Problem der „Zweiten“. Sie seien auf der Suche nach der freien Position in der Familie. „Wenn das erste Kind gut in Mathe ist, stürzt sich das zweite auf Deutsch“, ist eine Erfahrung der Pädagogin.
Die Konkurrenz zwischen ältestem und zweitem Kind wird bei gleichgeschlechtlichen Geschwistern größer. Eltern sollten sich Gedanken machen, was das Kind gut kann und dies dem Kind auch sagen, riet Ricarda Abrell. Dem zweiten Kind müsse man klare Grenzen setzen. Immer übersehen zu werden sei das Schicksal des Sandwichkindes, des vorletzten Kindes. Es sei die schwierigste Geschwisterposition, denn es stehe immer in der Spannung zwischen „Von dir hätte ich mehr erwartet“ bis hin zu „Dazu bist noch zu klein“. Der Tipp der Referentin betraf das bewusste Zeit verbringen mit dem Sandwichkind. Vergleichbar mit dem Charakterzug der Jüngsten sei das Einzelkind. Es sei oft intelligenter als die anderen Kinder, aber oft auch altklug. Die Versuche, im Mittelpunkt zu stehen, häufen sich. Die schwere Rolle für Einzelkinder komme oft erst später, denn das Einzelkind könne sich keinen Rat bei Geschwistern holen, wenn es um die Pflege der alt gewordenen Eltern gehe. Einzelkinder sollten schon früh mit anderen zusammen sein, zum Beispiel in der Krabbelgruppe, so der Rat von Abrell. Bei Rollenkonflikten in der Familie schlug sie die Familienkonferenz mit gleichberechtigten Teilnehmern vor. Alle sind berechtigt, Tagespunkte einzubringen und darüber als Familie zu beraten. Auf diese Weise fühlen sich Kinder ernst genommen und Konflikte lassen sich einvernehmlich lösen.

Pädagogischer Vormittag für Eltern
Ricarda Abrell gab den Eltern beim 4. Pädagogischen Samstag wertvolle Tipps im Umgang mit den Geschwisterkonstellationen.